„Die Kanten des runden Leders“

Prächtige Bengalenchoreos sind nur ein Teil der vielseitigen Fankultur

Die Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Innsbruck und die Faninitiative Innsbruck organisierten unter dem Motto „Die Kanten des runden Leders“ – Fußball als Spiel, Sport und Spektakel“ eine Diskussion  mit ExpertInnen aus Österreich und Deutschland in offenen Lehrveranstaltungen die Bedeutung des Fußballs in der Gesellschaft.


Offene Lehrveranstaltung

Die Fakultät für Bildungswissenschaften geht in einem speziellen Lehrprogramm (Freitag und Samstag ab 9 Uhr), das in Zusammenarbeit mit der „Faninitiative Innsbruck“ veranstaltet wird, auf das Spektakel der Euro 08 ein und lädt dazu auch die interessierte Öffentlichkeit ein. Kaum eine Sportart fasziniert jung und alt so wie Fußball. Als fester Bestandteil der (zumindest europäischen) Massenkultur bietet der Fußball und das Drumherum um ihn jede Menge Anschauungsmaterial für menschliche Verhaltensmuster, massenpsychologische Vorgänge und verschiedenste kulturelle Ausdrucksweisen. Im Rahmen intertheoretischer Problemfeldanalysen, denen sich die beiden Lehrveranstaltungen unter dem Titel „Die Kanten des runden Leders. Fußball als Spiel, Sport und Spektakel“ widmen, werden insgesamt sieben in Sachen Fußball versierte Wissenschaftler/innen und Referent/inn/en aus Österreich und Deutschland ganz unterschiedliche Aspekte der „schönsten Nebensache der Welt“ beleuchten, die letztlich alle auf ihre Weise geeignet sind, mehr über den komplexen Sozial- und Kulturcharakter der Gegenwartsgesellschaft in Erfahrung zu bringen.

I Block Fr/Sa 30/31.05.2008

Thema: Fußball als das Leben selbst: Fußball aus kulturwissenschaftlicher Sicht
ReferentIn: A.Univ.-Prof. Dr. Roman Horak, Universität Wien)
Zeit/Ort: Fr. 30.05.2008 9.00 – 13 Uhr HS 5 ab 14 Uhr im Fancamp Messehalle
Sa. 31.05.2008 9.00 bis 13 Uhr HS 6

II Block Fr/Sa 13/14.06.2008

Thema: Fußball und Ideologieproduktion
ReferentIn: Univ.-Prof. Dr. Gerhard Vinnai, Uni Bremen
Zeit/Ort: Fr. 9.00 – 12.00 Uhr JM HS 1

Thema: Fußball und Rassimus
ReferentIn: Mag. Michael Fanizadeh, Antirassistische Initiative „FairPlay,Wien
Zeit/Ort: Fr. 13.30 – 15.00 Uhr JM HS 1

Thema: Fußball und „präventiver Sicherheitsstaat“
ReferentIn: Mag. Mathias Kapferer, Rechtsanwalt, Innsbruck)
Zeit/Ort: Fr. 15.30 – 17.00 Uhr JM HS 1

Thema: Fußball und Kapitalismus
ReferentIn: Wiss. MA. Dr. Bernd Lederer, Universität Innsbruck
Zeit/Ort: Sa. 9.00 – 10.30 Uhr HS 6

Thema: Fußball und Seximus
ReferentIn: Mag. Antje Hagel, Offenbach
Zeit/Ort: Sa. 10.45 – 12.45 Uhr HS 6

Thema: Fußball zwischen Kult und Kommerz
ReferentIn: Dipl.-Päd. Roger Hasenbein, Aufsichtsrat FC St. Pauli)
Zeit/Ort: Sa. 14.00 bis 16.00 Uhr HS 6

Weitere Infos auf der Homepage der Universität Innsbruck.

Weitere Infos zu den Inhalten und den einzelnen Referenten:

„Fußball als das Leben selbst: Fußball aus kulturwissenschaftlicher Sicht – (A.Univ.-Prof. Dr. Roman Horak, Universität Wien):
I Block: Fr. 30.05.2008 9.00 bis 13 Uhr HS 5 ab 14 Uhr im Fancamp Messehalle
Sa. 31.05.2008 9.00 bis 13 Uhr HS 6

Fußball bezieht seine Attraktivität und Spannung aus der Wechselwirkung von Konkurrenz und Kooperation, aus der Dynamik sich stets ändernder Konfigurationen. Jedes Spiel ist eine jeweils eigene Narration, die von Spielern, Schiris und Zusehern erzählt wird und aus sich heraus wiederum eine Vielzahl von weiteren Narrativen und Diskursen evoziert. So gesehen symbolisiert der Fußball „das ganze Leben“, entlang der Inszenierungen und Metaphorisierungen klassischer Mythen und Polaritäten: David vs. Goliath, Arm vs. Reich, Helden vs. Gehilfen, Ungerechtigkeit vs. Gerechtigkeit, Hoffnung vs. Enttäuschung etc. Fußball ist ein mögliches (manchmal das einzige) Aufstiegsvehikel, von seiner Anlage her multikulturell und international. Zugleich konzentrieren sich um das Spiel als gesellschaftliches Phänomen exemplarisch aber auch Marginalisierung, Nationalismen, Rassismus und Chauvinismus. Fußball ist von seiner Tradition her ein maskulin dominierter Sport der unteren sozialen Schichten, der im Zuge seiner Modernisierung/Globalisierung Zugänge auch für Frauen öffnet, und zwar in beiden Segmenten, in jenem der Aktiven ebenso wie in jenem der Fans. Diese „Integration“ verläuft jedoch widersprüchlich und im Spannungsfeld konkreter Sexismen. Das sind nur einige der kultursoziologischen Problemfelder, denen sich Prof. Roman Horak (Uni Wien) im Rahmen seiner kaleidoskopischen Analysen widmet.

II Block 13/14.06.2008 Fr. ab 9. Uhr

„Eigentore – Zur ideologischen und sozialen Funktion des Fußballsports“ – (Prof. Gerhard Vinnai, Uni Bremen): Fr. 9 – 12 Uhr JM-HS 1

Wo sich nach Ansicht der Sportideologen spielerisches Treiben entfaltet, werden, so der Sozialpsychologe Gerhard Vinnai (Uni Bremen), in Wahrheit Elemente der fremdbestimmten Arbeitswelt verdoppelt, bekommen die Menschen die Rationalität des Kapitals eingebläut, herrscht die Vernunft des Profits. Unter dem Schein der freien Entfaltung verhindert der Sport, dass der Körper dem lebendigen Genuss zur Verfügung steht, zementiert er das Realitätsprinzip einer Gesellschaft, die Körper und Seele von einer wildgewordenen Ökonomie ausbeuten lässt. Auf dem Sportplatz wird das reibungslose Funktionieren geübt, werden die Bedürfnisse so manipuliert, dass ihr subversives Moment nicht zum Tragen kommt: die Pseudoaktivität mit dem Lederball kanalisiert die Energien, die das „Gehäuse der Hörigkeit“ sprengen könnten. Der Fußballsport erzieht den Typus Mann, der zum robusten Einsatz seiner Kräfte unter der Anleitung anderer bereit ist. Die gesellschaftliche Unvernunft begnügt sich nicht damit, falsches Bewusstsein auszusäen, sie programmiert die Psyche mit Mustern eines Verhaltens, das sich der Übermacht der Verhältnisse fügt – nicht zuletzt mit Hilfe des Sports. Für die Sportanhänger gilt die Maxime eines autoritätsfixierten, masochistischen Charakters, die das Fortbestehen repressiver, demokratisch nicht kontrollierter gesellschaftlicher Verhältnisse ermöglicht: „Sich quälen ohne zu klagen ist die höchste Tugend, nicht die Abschaffung oder wenigstens die Verringerung des Leidens.“ Die Tore auf dem Fußballfeld sind aus dieser Perspektive „Eigentore der Beherrschten“. Der Fußballkult ist in unserer Gesellschaft zu einer Art Lebensersatz geworden. Die unter großer Anteilnahme der Bevölkerung zur Fußballweltmeisterschaft 2006, verbunden mit wirtschaftlichen Interessen, kulturindustriell angeheizte Fußballbegeisterung in Deutschland und ähnliche Strategien in Österreich machen dies besonders sichtbar. Viele Intellektuelle verspüren heute regelrecht den Drang, sich als Fußballfans zu outen, anstatt, wie es ihre Aufgabe wäre, kritisch über die soziale Rolle des Fußballsports nachzudenken. Der Vortrag will eine kritische Auseinandersetzung mit dem organisierten Fußballsport anregen, indem er auf illusionäre soziale Bindungen hinweist, die er erzeugt und seine Beziehung zu entfremdeter Arbeit sichtbar macht. Fragwürdige Züge seines Einflusses auf die Erziehung von Jugendlichen sollen deutlich gemacht werden. Der Referent: Gerhard Vinnai, bis 2005 Professor für Analytische Sozialpsychologie an der Universität Bremen.

„Antirassistische Fußballarbeit und Fanbetreuung bei der Euro 2008“ – Mag.Michael Fanizadeh (Wien): Fr. 13.30 – 15 Uhr JM-HS 1

Aktion Fair Play Die Initiative „FairPlay. Viele Farben. Ein Spiel“ wurde 1997 am Wiener Institut für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit (vidc) im Rahmen des EU-Jahres gegen Rassismus gestartet. FairPlay-vidc führt seitdem mit Vereinen, Fanclubs, MigrantInnenorganisationen und Schulen interkulturelle Aktivitäten im österreichischen Fußball und Sport durch. FairPlay-vidc ist Gründungsmitglied und zentrale Koordinationsstelle des 1999 in Wien gegründeten europäischen Netzwerks Football Against Racism in Europe (FARE). Ziel des Netzwerkes ist es, Fremdenfeindlichkeit und die Exklusion von Minderheiten im europäischen Fußball aufzuzeigen und diesen pro-aktiv entgegenzutreten. Momentan sind über 300 Faninitiativen, antirassistische Fußballprojekte, MigrantInnenorganisationen, Vereine und SpielerInnengewerkschaften in 38 Ländern bei FARE aktiv. FARE ist darüber hinaus ein langfristiger Corporate Social Responsibility Partner der UEFA. In diesem Kontext wurde FARE von der UEFA damit beauftragt, bei der UEFA EURO 2008 in Österreich und der Schweiz ein präventives Programm gegen Rassismus und Fanbetreuungsprogramm durchzuführen. Der Vortrag wird einerseits die Projektgeschichte von FairPlay-vidc und FARE erläutern, andererseits auch die Projekte rund um die EURO 2008 (Organisation und Aufbau der Fanbetreuung) vorstellen und zudem Diskriminierungstendenzen rund um den Fußball analysieren. Der Referent: Mag. Michael Fanizadeh ist Politologe und arbeitet am Wiener Institut für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit (VIDC). Dort ist er mit der Organisierung des antirassistischen Sportprojekts „FairPlay. Viele Farben. Ein Spiel“ (www.vidc.org/fairplay) sowie mit der Koordinierung des europäischen Netzwerkes „Football Against Racism in Europe – FARE“ (www.farenet.org ) betraut.

„Fußball, Fans, Bürger – alle(s) unter Kontrolle?!“ Fußball als Exerzierfeld des „präventiven Sicherheitsstaates“? – Mag. Mathias Kapferer (Innsbruck): Fr. 15.30 – 17 Uhr JM-HS 1

Anhand der in den letzten Jahren geschaffenen Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten in und rund um die Fußballstadien soll aufgezeigt werden, wie die dort scheinbar von allen akzeptierten Maßnahmen in das Leben jedes einzelnen Menschen übernommen werden. Polizeiliche Befugnisse, die zur Verhinderung und Aufklärung möglicher Straftaten einer kleinen Gruppe innerhalb der Fußballszene scheinbar erweitert werden müssen, werden Teil des gesamten Straf- und Polizeirechts und damit für jeden Bürger verbindlich oder auch zur Bedrohung. Konkrete Erfahrungen aus verschiedenen Strafverfahren und Verfahren zur Klärung von Polizeimaßnahmen beweisen, dass diese Entwicklung zu einer echten Bedrohung des Rechtsstaates führen kann. Ergänzt werden diese staatliche Einschränkungen der Freiheit des einzelnen durch umstrittene private Kontroll- und Sanktionsmaßnahmen der Fußballvereine und Stadionbetreiber. Gemeinsames Ziel scheint zu sein: der gläserne Fußballfan als Vorbild für den gläsernen Bürger. Ist daher der Fußball in seiner jetzigen Entwicklung Motor und Vorbild für einen Typus Staat, der auf massiver privater und öffentlicher Kontrolle und Sanktionierung jeglichen abweichenden Verhaltens aufgebaut ist? Der Referent: Matthias Kapferer, mangels ausreichendem Talent als Fußballer Jus-Studium in Innsbruck, Mietrechtsberater, Bediensteter des Landes Tirol, ab 1995 Ausbildung als RA und seit 1998 selbständiger RA in Innsbruck; Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit in den Bereichen Miet- und Wohnrecht, Strafrecht, Vereinsrecht, Familienrecht; langjähriger juristischer Wegbegleiter einer aus seiner Sicht faszinierenden Fanszene in Innsbruck.

„Die Ökonomisierung der Gesellschaft“ – Dr. Bernd Lederer (Wiss. Assistent, Uni Innbsruck): Sa. 9.00 – 10.30 Uhr HS 6

Fußballvereine, die nach Markennamen benannt sind, Stadien (bzw. „Arenen“), die den Namen von Konzernen tragen und dabei ein breites, konsumfreudiges Sitzplatzpublikum jenseits aktiver Fankulturen attraktieren sollen, oder auch die Verbannung von Fußballspielen ins Pay-TV: Für die exzessive Kommerzialisierung des Fußballsports finden sich genügend Belege. Dabei, so der Tenor des Vortrags, ist Fußball als Teil der Unterhaltungs- und Kulturindustrie nur ein gesellschaftlicher Teilbereich von vielen, die im Zeitalter des oft als „Neoliberalismus“ apostrophierten vorherrschenden gesellschaftspolitischen und –kulturellen Paradigmas gemäß den Gesetzmäßigkeiten der Marktgesellschaft organisiert werden. Am Beispiel der Ökonomisierung des Bildungssystems wir aufgezeigt, dass es sich hierbei letztlich um dieselben strukturell vermittelten Ursachen besagten Kulturverlustes handelt. Der Referent: Dr. phil. Bernd Lederer, wiss. Assistent an der Uni Innsbruck, zuvor an den Unis Regensburg und Köln, zudem längere Tätigkeit als Lehrkraft und Dozent im Bereich berufliche Vorbereitung und Bildung.

„Sexismus im Fußball“ – Mag. Antje Hagel (Kulturwissenschaftlerin, Offenbach): Sa. 10.45 – 12.45 HS 6

Männer, Frauen und Fußball – das gehört zusammen – aber wie? Welche Tendenzen und Mechanismen sozialer Ausgrenzung sind wahrnehmbar und werden am eigenen Leib erfahren? Sexismus im Stadion fühlt sich manchmal ganz knallhart an, manchmal muss die eine oder andere erst drei Mal schlucken, bevor sie das Gefühl, was sie beschleicht, beschreiben kann. Aber weibliche Fußballfans genießen es auch, nicht auf die Rolle der Frau festgeschrieben zu sein. Sie können vieles ausprobieren, was für Männer reserviert ist. Im Stadion lernen Mädchen und Frauen, dass es viele verschiedene Handlungsmöglichkeiten gibt. Zur Nachahmung empfohlen. Die Referentin: Die Kulturwissenschaftlerin Antje Hagel ist seit 2001 im Fan-Projekt Offenbach tätig. Rassistische, sexistische und alle anderen Arten von Ausgrenzungen – nicht nur im Fußball – sind Themen des Gründungsmitglieds des Offenbacher Fanmagazines ERWIN. Sie ist zudem Mitbegründerin des Netzwerkes „Frauen im Fußball“, ein Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen, Journalistinnen und Fanarbeiterinnen.

„Der FC St.Pauli – im Spannungsfeld zwischen Kommerz und selbstorganisierter kritischer Fanszene“ – Dipl.-Päd. Roger Hasenbein (Hamburg): Sa. 14.00 – 16.00 HS 6

Die Frage, inwieweit moderner, möglichst erfolgreicher Profifußball ohne Kommerz überleben kann, steht im Mittelpunkt der Bemühungen seitens einer an den Prinzipien Mitsprache, Teilhabe und Selbstorganisation orientierten Fankultur, die Fan-Sein nicht als passiy-konsumistische Freizeitgestaltung missversteht und somit stets Gefahr läuft, von den ausufernden Kommerzialisierungstendenzen des modernen Fußballs unterdrückt zu werden. Am Beispiel des FC St. Pauli und seiner Fankultur werden die mit diesem Problemfeld assoziierten Fragen analysiert. Der Referent: Roger Hasenbein, Aufsichtsratsmitglied des FC St. Pauli, Mitglied im „Bündnis aktiver Fußballfans“ (BAFF)