Fanarbeit Innsbruck beim Fankongress 2012 in Berlin

img175Am 14. und 15. Jänner 2012 fand in Berlin ein Fankongress statt. Neben zahlreichen deutschen Fangruppierungen befanden sich unter den TeilnehmerInnen auch viele fußballrelevante Organisationen wie z.B. die Koordinationsstelle Fanprojekte, Football Supporters Europe, Bundesarbeitsgemeinschaft Fanprojekte, AG Fananwälte und viele mehr. Und auch die Fanarbeit Innsbruck war durch Armin Weber vertreten.


Organisation durch Initiative „Pro Fans“

Bereits 2007 gab es in Deutschland einen ähnlichen Kongress, damals veranstaltet vom DFB. Da aber leider keine Folgeveranstaltung in Aussicht stand, übernahm das Bündnis „Pro Fans“ in Zusammenarbeit mit den Berliner Fanszenen ehrenamtlich die Organisation des Fankongress 2012. Der Grundgedanke der Veranstaltung war die Diskussion über die Rolle der Fans und Fankulturen im Fußball des 21. Jahrhunderts sowie der Dialog zwischen allen am Fußball beteiligten Institutionen. Die Themenschwerpunkte gliederten sich wie folgt:

Wem gehört der Ball? Fußball zwischen gesellschaftlicher Verantwortung und Privatrecht.

Fankultur als soziales Phänomen.

Die Chancen und Grenzen von Selbstregulierung, Freiheit und Verantwortung in den Fankurven.

Identifikation der Fans mit dem Verein in Zeiten des „modernen Fußballs“.

Wie schaut der Fußball in Zukunft aus und welche Rolle spielen die Fans dabei?

„Rechtsfreier Raum“ Stadion?

Diese Grundthemen wurden anhand von Diskussionsrunden, Workshops und Vorträgen kritisch hinterfragt um Lösungswege und Strategien für die Zukunft zu entwickeln. Es wird in weiterer Folge von den Workshops und Vorträgen berichtet an denen teilgenommen wurde:

Pyrotechnik

Den ersten Rückschlag gab es bereits beim Thema Pyrotechnik. Ähnlich wie in Österreich haben sich auch in Deutschland in der Initiative „Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren“ aktive Fangruppen zusammengeschlossen um einen Fortschritt in dieser Debatte zu erarbeiten. Es gab in der Vergangenheit Gespräche mit dem DFB und der DFL, es wurde sogar mit dem Fanbeauftragten des DFB an einem umsetzbaren Konzept gearbeitet ehe jedoch die Verbandsspitze entschied, dass auf Grund der rechtlichen Situation in Deutschland die Diskussion beendet sei. Pyrotechnik bei Fußballspielen wird in keiner Weise erlaubt.

Diese Entscheidung wurde beim Fankongress heftig diskutiert. Leider war keiner der Funktionäre des DFB anwesend um Begründungen für diese Entscheidungenpro fans näher auszuführen. Die Fan- und Sicherheitsbeauftragten des DFB konnten nur auf ihre Funktionäre verweisen und führten immer wieder die kryptische Begründung der rechtlichen Situation an.

Ein Vertreter der Pyrotechnikinitiative kritisierte diese Vorgehensweise des DFB mit dem Argument, dass sowohl der DFB als auch die Pyrotechnikinitiative Rechtsgutachten in Auftrag gegeben haben, welche zu einem anderen Schluss gelangten. Detaillierte Auskünfte konnte oder wollte aber auch der Vertreter der Initiative nicht geben.

Genau diese Form des Dialoges, welche der DFB und die DFL in dieser Sache praktizierten wurde von den Fans scharf kritisiert, denn eine gleichberechtigte Diskussion auf Augenhöhe ist mit dieser Vorgehensweise nicht gegeben. Ein Vertreter der Fangruppierung „Wilden Horde“ (1.FC Köln) dazu: „Wenn die dialogbereiten gemäßigten Fraktionen innerhalb der Kurven zu keinen ernstzunehmenden Lösungsansätzen kommen, werden sie bei den extremer eingestellten Personen auf der Tribüne kein Gehör mehr finden.“

Im Rahmen dieses Themenblocks wurde auch das norwegische Pyrotechnikmodell vorgestellt, welches es den Heimfans aller Vereine ermöglicht, nach vorheriger Anmeldung und erfolgter Genehmigung durch Feuerwehr und Polizei, Pyrotechnik zu verwenden.

Funktioniert die Selbstregulierung von Fangewalt?

Auf Grund der Brisanz dieses Themas wurde die Öffentlichkeit bei diesem Workshop ausgeschlossen. Mit Öffentlichkeit waren nicht nur die PressevertreterInnen sondern auch die FanprojektmitarbeiterInnen oder Mitglieder anderer Institutionen (Fananwälte etc.) gemeint.

Auf der einen Seite ist diese Entscheidung sehr bedauerlich, da die Vermutung nahe liegt, eine der interessantesten Diskussionen verpasst zu haben, auf der anderen Seite ist der Ausschluss der Öffentlichkeit gelebte Selbstreflexion der Fans ohne jeglichen Einfluss von außen und somit eine absolut authentische Vorgehensweise.

Identifikation mit dem Verein und Veränderungen der Fankultur

Bei diesem Themenbereich wurden vor allem die Veränderungen innerhalb des Fußballs und somit auch der Fanszenen diskutiert. Viele Diskutanten vertraten die Meinung, dass durch die Veränderung der Vereine hin zu riesigen Wirtschaftsunternehmen die Motivation für den Stadiongang vor allem bei jugendlichen Fans zunehmend die Zugehörigkeit zu einer Fangruppierung sei. Der Verein trete immer mehr in den Hintergrund, da keine „Werte“ mehr vorhanden seien.

Beim Stichwort „Werte des Vereins“ entstand eine sehr interessante Diskussion darüber, ob diese Werte immer schon bestanden haben, oder die Vereine erst durch ihre Fans bestimmte Werte erhalten und in späterer Folge auch vertreten. Ein (älterer) Fan von Union Berlin meinte, dass auch er nicht primär durch das Interesse am Verein zum Fußball gekommen ist, sondern weil er sich auf der Tribüne, mit allen Facetten welche dazugehörten, sehr wohl gefühlt hat.

Er führte weiter aus, dass er erst nach einiger Zeit Vereinsmitglied und in weiterer Folge sogar kurzfristig Funktionär geworden sei. Er machte also eine Entwicklung vom reinen Tribünenbesucher hin zu einem Vereinsfunktionär durch.

Fazit dieser Diskussion war, dass die meisten jugendlichen Fans nicht auf Grund des Vereins zum Fußball kamen und kommen, sondern hauptsächlich wegen dem „soziale Gefüge Fankurve“. Es findet jedoch mit der Zeit eine Entwicklung hin zum Verein statt und somit auch ein „Wertetransfer“. Diese Entwicklung ist naturgemäß bei Vereinen deren Anhängerschaft sich hauptsächlich regional zusammensetzt wesentlich stärker zu spüren.

Rechtsfreier Raum Stadion (Podiumsdiskussion)

zisBei dieser Diskussion, sollte über die Gefährlichkeit eines Stadionbesuches in Deutschland diskutiert werden. Neben Vertretern von Fanszenen, Fanprojekten, dem DFB und anderen Institutionen war auch die Polizei dazu eingeladen. Allein es kam niemand von der Exekutive.

Also wurden ohne Vertreter der Polizei die offiziellen Statistiken von Verletzten und Festgenommenen der vergangenen Saison präsentiert und diskutiert um ein sachliches Bild der Gewaltvorfälle bei Fußballspielen in Deutschland zu zeichnen. So haben in der Saison 2010/2011 mehr als 17,5 Millionen Menschen die Spiele der ersten und zweiten Bundesliga besucht. Nach Statistiken der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Polizei wurden dabei 846 Personen verletzt, gegen 5818 wurden Strafverfahren eingeleitet (Verurteilungen wurden nicht erfasst). Das entspricht einem Anteil von rund 0,005 Prozent beziehungsweise 0,033 Prozent. Bei den 846 verletzten Personen wurde nicht angegeben, ob es sich um Fan- oder Polizeigewalt gehandelt habe (Pfeffersprayeinsätze der Polizei fordern regelmäßig mehrere Verletzte, welche behandelt werden müssen).

Anhand dieser Statistiken (Quelle: www.schwatzgelb.de; Artikel: „Wir waren beim Fußball und haben es überlebt) wurde die Verhältnismäßigkeit zwischen der öffentlichen Berichterstattung und dem tatsächlichen Bild des Fußballs und der Fans diskutiert. Es ging um die Selbstreflexion der Fans, welche vehement von Thomas Schneider (ehemaliger Fanprojektmitarbeiter, mittlerweile bei der DFL) eingefordert wurde, denn auch 846 Verletzte sind zu viel. Aber auch um Strategien gegen die einseitige Medienberichterstattung und das Aufbegehren gegen nicht korrektes Polizeiverhalten. Dabei wurde vor allem die Kennzeichnungspflicht aller Beamten gefordert.

Abschließender Eindruck

Der Fankongress 2012 in Berlin war aus Sicht der Fanarbeit Innsbruck eine beeindruckende Veranstaltung. Es wurden viele unterschiedliche Themenbereiche in einer sehr gut organisierten Art und Weise aufbereitet und diskutiert. Fans aus ganz Deutschland haben somit ein starkes Zeichen in Richtung Dialog- und Reflexionsbereitschaft gesetzt!

Weiterführende Informationen und Bilder auf der Homepage des Fankongress 2012.
Bericht der Veranstalter als Pdf-Download: Abschlussdokument Fankongress 2012

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