Warum Fußball alles andere als banal ist

altSeit 13 Jahren werden in den Jahrbüchern der Michael-Gaismair-Gesellschaft gesellschaftspolitische und zeithistorische Themen kritisch diskutiert. Mit Blick auf das bevorstehende Vereinsjubiläum des FC Wacker widmet das Jahrbuch 2013 nun erstmals einen Themenschwerpunkt der Fußball-Fankultur in Innsbruck.

Im Vergleich zu vielen anderen Fragestellungen erscheinen die Themen Fußball und Fankultur – gerade für Sport-uninteressierte Menschen – auf den ersten Blick relativ banal. Wer sich wissenschaftlich mit dem Fußball beschäftigt, gilt in der Universität immer noch ein wenig als Exot. Im Rahmen einer Buchpräsentation in der Buchhandlung Haymon erläuterten die Autoren Armin Weber und Stefan Hebenstreit gestern vor einem interessierten Publikum, warum bestimmte Phänomene und Entwicklungen im Fußball auch über den Sport hinaus wirken und deshalb von einer breiten Öffentlichkeit wahr- und ernstgenommen werden sollten – getreu dem diesjährigen Titel des Gaismair-Jahrbuches, das einen „Blickwechsel“ einfordert.

Politisches Bewußtsein unter dem Eindruck der Kommerzialisierung

Hebenstreit sprach über die Auswirkungen der fortschreitenden Kommerzialisierung des Fußballs und betonte die Notwendigkeit demokratischer Strukturen im Zuschauersport. Als bedeutendes Feld der Alltags- und Populärkultur sei der Fußball mit seiner Vereinskultur ein Ort, in dem sich politisches Bewußtsein formiert. Das Grundprinzip, wonach die Unterordnung von Lebensbereichen unter das Kapital nicht nur ökonomische Konsequenzen hat, sondern auch die kulturelle Zurichtung von – nicht zuletzt politischen – Denk- und Verhaltensweisen mit sich bringt, zeige sich auch im Fußball und seiner Fankultur. Gleichzeitig schlummere in den Fanszenen aber auch enormes emanzipatorisches Potential. Als Beispiel nannte Hebenstreit die kommerzialisierungskritischen Faninitiativen, die seit etlichen Jahren vielerorts in Europa gegen sozialen Ausschluß in Form von Versitzplatzung oder Teuerung bei den Eintrittspreisen und für mehr Mitspracherechte der Anhänger in den Vereinen kämpfen.

Fußball als sicherheitspolitisches Experimentierfeld

Weber erläuterte anhand konkreter Beispiele, wie repressive Maßnahmen die jugendlichen Fans im Ausleben einer selbstbestimmten und kreativen Fankultur hindern. Der soziale Raum des Fußballs erweise sich dabei immer wieder als sicherheitspolitisches Experimentierfeld, in dem einzelne Maßnahmen zur Durchsetzung von sozialer Normierung und Kontrolle ausprobiert werden, die letztlich nicht nur Auswirkungen für Fans, sondern auf die Bürgerrechte aller Bürger haben können. Der Ausbau des Repressionsapparates im Fußball sei außerdem stets verbunden mit einer medialen Panikmache, die fernab von objektivem Journalismus zur Stigmatisierung und Kriminalisierung von Fußballfans führt. Kritisch betrachtet Weber aus seiner Sicht als Fanarbeiter vor allem die Spirale von Gewalt und Gegengewalt, die letztlich sowohl für Sicherheitsbehörden und Verbände als auch für die Fanclubs von Nachteil sei. Dementsprechend notwendig sei die Förderung des Dialogs mit den Anhängern, wozu gerade professionelle Fanarbeit viel beitragen könne.

Vier Artikel zur Fußball-Fankultur

Moderator und Mitherausgeber Martin Haselwanter bedankte sich bei den beiden Autoren für die eindrucksvollen Einblicke in die Welt des Fußballs und empfahl dem interessierten Publikum in der vollbesetzten Buchhandlung Haymon die Lektüre der entsprechenden Beiträge. Insgesamt beinhaltet das aktuelle Jahrbuch vier Artikel zur Fußball-Fankultur:

Armin Weber: Fußballfangruppen – Kriminelle Vereinigungen oder lebendige Subkultur

Isabella Preindl: „Als ich noch ein kleiner Bub war…“ Als Frau auf der Nordtribüne

Stefan Hebenstreit: „Nie werden wir so sein, wie ihr uns wollt!“ Jugendliche Gegenkultur in der Fußball-Fanszene

Stefan Hebenstreit: Meinungs- und Willensbildung im kommerziellen Fußball. Die demokratische Struktur des FC Wacker Innsbruck

Interessante Beiträge – Ideales Weihnachtsgeschenk

Daneben enthält das Gaismair-Jahrbuch 2013 interessante Artikel über die Innsbrucker Stadtpolitik: So dokumentiert ein Beitrag unter dem Titel „Vom ‚Sandlerparadies‘ zum ‚Open-Air Einkaufszentrum'“ die Gentrifizierung des Stadtzentrums und des öffentlichen Raums der Tiroler Landeshauptstadt. Andere Aufsätze beschäftigen sich mit dem 20-jährigen Jubiläum der sozialarbeiterischen Einrichtung Z6-Streetwork, den Olympischen Jugend-Winterspielen 2012 oder den Spuren von lokalem Antifaschismus in Innsbruck. Weitere Themen sind der gegenwärtige Umgang mit Vertreibung, Behindertenmord und Widerstand im Nationalsozialismus oder die Traumata ehemaliger, von Mißhandlung betroffener Heimkinder.

Die Jahrbücher der Michael-Gaismair-Gesellschaft wenden sich an ein breites Publikum politisch interessierter Menschen; die Texte sind dementsprechend in allgemeinverständlicher Sprache verfaßt. Nicht zuletzt wegen der Artikel über die Fußball-Fankultur ist das aktuelle Jahrbuch eine hervorragende Lektüre für kalte Winterabende und eignet sich auch ideal als Weihnachtsgeschenk.

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Martin Haselwanter, Elisabeth Hussl, Elisabeth Gensluckner, Monika Jarosch, Horst Schreiber (Hrsg.): Gaismair-Jahrbuch 2013. BlickWechsel, Innsbruck-Wien-München-Bozen 2012, StudienVerlag, ISBN: 978-3-7065-5235-6.